Während Frankreich über eine weitere Liberalisierung im Abtreibungsrecht jubelt, umweht Frauen hierzulande noch immer ein Hauch der Kriminalität, wenn sie ihre Schwangerschaft auf eigenen Wunsch beenden. Der Grund: eine 30 Jahre alte Entscheidung, an der es offenbar kein Vorbeikommen gibt.
Geht es um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen, liegen zwischen Deutschland und seinem Nachbarland Frankreich Welten. Während Französinnen seit fast 50 Jahren legal und kostenfrei abtreiben können, stehen Frauen in Deutschland dabei noch heute mit einem Bein in der Kriminalität. Am Montag zog Paris die Gräben noch tiefer: In Frankreich sind Abtreibungen künftig nicht nur legal, sondern auch verfassungsrechtlich garantiert. Die Entscheidung im Kongress fiel mit überwältigender Mehrheit - quer durch das sonst so auseinanderklaffende Parteienspektrum. Hierzulande sorgt derweil schon jede Überlegung, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Bereich des Strafbaren zu zerren, für Empörung in breiten Teilen von Politik und Gesellschaft.
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Dass etwas, das ein Recht sein sollte, illegal ist und nur aktuell nicht bestraft wird, findest du eine gute Lösung?
Dass die Menschen, die die entsprechende medizinische Versorgung anbieten, sich ständig in rechtlichen Grauzonen bewegen müssen, weshalb es in vielen Gegenden überhaupt keine Angebote gibt, teilweise nicht mal in Großstädten, findest du einen guten Zustand?
Das sind keine rechtlichen Grauzonen. Es ist einfach nur ein symbolisches Wort im StGB, wo “straffrei” anstelle von “erlaubt” oder einfach gar nichts steht. Soweit ich weiß hat das keine oder kaum praktische Auswirkungen. Insofern sollte man für die Änderung nichts riskieren.
Wir müssen hier aufpassen nicht unnötig eine polarisierende Diskussion zu ruschen. Die Amis haben uns gezeigt wohin das führen kann. Dort wird von der einen Seite mit “ihr ermordet Babys” geschrien und die andere Seite antwortet dann sinngemäß mit “Babys töten ist Gesundsheitsversorgung”. In der EU (minus Polen) haben wir - auch in Frankreich - glücklicherweise überall Regelungen, die die Situation als komplizierte Abwägung zwischen zwei Grundrechten betrachten und immer eine Mischung aus Fristen- und Indikationslösungen nutzen. Dabei kann und sollte man natürlich überprüfen, ob die derzeitige Regelung sinnvoll ist und vermutlich sollte man in Deutschland noch etwas liberaler werden, aber @Ardor von Heersburg hat schon Recht: Die Hauptgefahr sind radikale Gegner und die werden mehr werden, wenn wir eine neue Abtreibungsdebatte bekommen. Da halte ich diese Zwangsgespräche für das kleinere Übel.
Ich bin keine Juristin, aber es wäre mir neu, dass Dinge im StGB normalerweise explizit erlaubt werden.
Ich lese §218a durchaus etwas schwammig. In Absatz 4 z.B. ist ja eine Schwammigkeit gerade schon eingebaut:
(4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.
Weißt du, ich gehe mal davon aus, dass du keine Frau bist. Das Problem, das hier besteht, ist, dass eine heterosexuell aktive Frau damit rechnen muss (keine Verhütungemethode ist 100%ig sicher), möglicherweise entweder gegen ihren Willen ein Kind gebären (und effektiv dann wahrscheinlich auch großziehen) zu müssen, mit all den gesundheitlichen und persönlichen Risiken und Einschränkungen, die damit verbunden sind, oder sich einem Prozess unterziehen zu müssen, der schon rein medizinisch und psychisch belastend genug ist, bei dem sie sich aber auch noch Sorgen um rechtliche Konsequenzen und mangelhaftes Angebot machen muss, zu dem es kaum Informationen zu finden gibt und der gesellschaftlich immer noch absolut geächtet und tabuisiert ist. Frauen wird hier nicht Hilfe und Unterstützung angeboten, sondern sie werden zu Beratung verpflichtet und begehen eine Straftat, die nur nicht bestraft wird. Das ist erniedrigend und psychisch belastend in einer Situation, die für die Betroffene wahrscheinlich ohnehin schon maximaler Stress ist, und ich finde, dass sich das ändern sollte.
Das StGB erlaubt nichts. Das StGB verbietet nur und deklariert Ausnahmen. Dies ist hier auch der Fall. Was zudem der Absatz 4 von 218a bedeutet ist, dass Schwangerschaftsabbrüche auch noch nach 12 Wochen straffrei sind, wenn jemand die Person dazu drängt doch noch aanzutreiben.Der Absatz 4 ist die Ausnahme von der Ausnahme. Der ist nur dafür da, damit der 218 in solchen Situationen nicht die Opfer psychischer oder Physischer Gewalt bzw. Drucks zu kriminalisieren. Ich finde die Regelung ziemlich sinnvoll.
Ja, habe ich verstanden - aber ganz klar definiert ist das natürlich trotzdem nicht. Im Übrigen finde ich 12 Wochen viel zu kurz, die Gefahr eine Schwangerschaft in dieser Zeit noch nicht mal zu bemerken ist relativ groß, und auch den Zwang zur Beratung finde ich etwas übergriffig.
Ja, es ist unnormal, dass das StGB Sachen explizit erlaubt. Normalerweise würde da einfach gar nichts stehen, da alles, was nicht verboten ist, erlaubt ist.
Das, was du als “schwammig” bezeichnest betrifft vor allem Spätabtreibungen außerhalb der Fristenregelung. Es geht dabei nun einmal um spezielle Einzelfälle, da kann der Gesetzgeber nur grobe Richtlinien vorgeben, sonst wäre der Paragraph ein ganzes Buch. Für die Einzelfälle sind nun einmal Gerichte zuständig. Der Normfall ist eben die Abtreibung in den ersten 12 Wochen (14, wenn Du das mit anderen Ländern vergleichen willst, wir rechnen anders). Da ist nichts schwammig.
Ich glaube es hilft hier sogar, dass ich nicht direkt betroffen bin. Das hilft das Problem objektiver zu sehen. Objektiv betrachtet ist diese Formulierung als Ausnahme nun einmal nur symbolisch anders als eine Formulierung, bei der die Straflosigkeit der Normalfall ist. Außerdem ist die deutsche Lösung durch die erzwungenen Beratungsgespräche ein wenig bürokratisch. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte diese Lösung auch nicht für ideal, aber wir reden hier wirklich von einem “first world problem”. (edit: Damit meine ich den rechtlichen Rahmen, nicht die ungewollte Schwangerschaft. Dass die Situation belastend ist, ist mir klar, nur ist der Einfluss des StGB darauf sehr gering).
Wozu die Hervorhebung? Das absehen von Strafe ist Erweiterung der garantierten Straffreiheit wenn man vorher bei der Beratung war.
Keine Frau muss in Deutschland ein Kind gegen ihren Willen gebären, zumindest nicht aufgrund der Abtreibungsgesetze.
Rechtliche Konsequenzen, wie gesagt, nein: Geh zur Beratung, da kriegst du einen Schein (garantiert), mit dem Schein gehst du nach drei Tagen zum Arzt, da kannst du abtreiben lassen.
Mangelhaftes Angebot ist ne andere Geschichte, gerade unten in Bayern. Aber dann beschwer’ dich über die mangelnde Verfügbarkeit und mach nicht gleich ein Fass auf, lenk’ nicht mit nicht-Problemen von eigentlichen Problemen ab.
Leben wir im gleichen Land?
Nein. Das Verfassungsgericht hat klar gesagt dass Abtreibungen legal sein können, dass die Rechteabwägung zwischen Frau und Kind unter Umständen zu Gunsten der Frau ausfallen kann. Und auch dass es Haarsträubend wäre Gerichte diese Feststellung machen zu lassen, deshalb wird es ja gerade dem Wissen und Gewissen der Frau überlassen. Die Beratung ist dazu da um sicher zu stellen dass diese Entscheidung wohlinformiert ist.
Doch, natürlich. Wenn sie ihre Schwangerschaft z.B. nicht in den ersten 12 Wochen bemerkt, was nicht so abwegig ist, wie du jetzt vielleicht denken magst, z.B. wenn man die Pille nimmt.
Und warum erst nach 3 Tagen? Warum muss die Frau 3 Tage lang tausend Tode sterben, bevor sie den Eingriff durchführen lassen darf?
Habe mich verleiten lassen auf Grund des ursprünglichen Posts den Fokus falsch zu setzen in der Diskussion, gebe ich dir Recht. Es drehte sich halt irgendwie plötzlich darum - bewusst ablenken wollte ich damit ganz bestimmt nicht.
Denke schon? Nimmst du es etwa so wahr als sei Abtreibung etwas, das man eben mal so macht und dann davon erzählt?
Bitte hör auf es “Abwägung zwischen Frau und Kind” zu nennen. Ein 3 Monate alter Zellhaufen ist kein Kind, sondern ein Embryo. Viele Schwangerschaften enden nach 3 Monaten auch auf natürliche Weise noch, ob aus dem Embryo jemals ein Kind würde, ist also alles andere als klar.
Sie muss aber zu Gunsten der Frau ausfallen, weil die körperliche und psychische Unversehrtheit einer Person über dem Recht auf Leben eines Embryos stehen sollte.
Nö, das ist ein Fötus. Embryos gibt es nur in den ersten 8 Wochen. https://de.wikipedia.org/wiki/Embryo
Bei 14 Wochen Schwangerschaft (also 12 nach Empfängnis) kann man nicht mehr von einem “Zellhaufen” sprechen. Kind würde ich das 50g bis 100g Ding dann aber auch nicht nennen. Edit: Hier ein paar Fotos, war ziemlich nervig eine neutrale Quelle zu finden. Zellhaufen passt schon nach einem Monat nicht mehr. Aber ich würde auch Fruchfliegen nicht als Zellhaufen bezeichnen und die bringe ich um, nur weil sie mich ein wenig nerven.
https://www.webmd.com/baby/ss/slideshow-fetal-development
Kann man ausweiten aber wenn du darüber hättest reden wollen warum fängst du mit Fundamentalkritik an? Motte and Bailey.
Bedenkzeit. Der Gesetzgeber will, das Verfassungsgericht verlangt, dass die Entscheidung nicht aus der Hüfte geschossen wird. Das mit dem “1000 Tode” merkst du selber dass das etwas übertrieben ist, meinst du nicht? Kannst übrigens auch schon am gleichen Tag einen Termin in drei Tagen machen.
Abtreibung ist unschön, aber was muss das muss. Macht man sicherlich nicht aus Jux und Dollerei und will man danach auch hinter sich lassen und normalerweise keine Gedichte drüber schreiben.
Es ist ein Mensch. Ein Embryo entwickelt sich als Mensch, nicht zum Menschen.
“Person” ist kein Begriff des Verfassungsrechts, das haste dir aus den USA abgeguckt, wohin das in den USA führt merkt man ja gerade. Auch im Allgemeinen würde ich amerikanische Verhältnisse eher nicht befürworten.
Ja und nein.
Erst zu letzterem: Das Angebote schwer zu finden sind ist ein echtes Problem und u.a. darauf bezog ich mich oben als ich von den Problemen in der „Praxis“ gesprochen habe.
Jetzt zum anderen Punkt: Niemand bewegt sich hier in einem rechtliche unsicheren Rahmen. Es ist ja nicht so dass auf Strafe aus rein gutem Willen eines Staatsanwalts verzichtet wird, nein dass ist alles fest in Gesetze gebunden und fix geregelt. Nichts mit Graubereich. Ja, ich halte dass für eine gute Lösung. Vermeidet eventuelle Verfassungsprobleme, hält aber vor allem auch die konservative Ecke des Landes still und schafft es dennoch den Betroffenen einen klaren Weg zu geben und ihnen staatliche Absicherung zu geben.
Ich finde “hält die Konservativen still” irgendwie kein gutes Argument. Mit der Argumentation könnte man auch sagen, die Lebenspartnerschaft, die ja die meisten Vorteile der Ehe hatte, war für gleichgeschlechtliche Paare ausreichend und hielt die Konservativen still. Es geht aber ja gerade auch darum, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und Sichtbarkeit und Sicherheit für die Betroffenen zu schaffen. Klar ist Abtreiben nicht schön, aber es ist einfach das Recht einer Frau, die ungewollt schwanger ist, dass sie diese Schwangerschaft beendet - und sie sollte weder rechtlichen noch gesellschaftlichen Sanktionen und Schwierigkeiten ausgeliefert sein dadurch. Wirkliche Klarheit und Absicherung würde man mMn. schaffen, wenn man ganz offen die Abtreibung unter definierten Bedingungen als ganz normale medizinische Behandlung erlaubt.
Ich habe das Gefühl in den Diskussionen hier geht es um die Formulierung des Paragraphen im Strafgesetzbuch. Was erhoffst du dir von einer Umformulierung? Mit welcher Art von Formulierung wärst du zufrieden? Insbesondere welche konkreten Änderungen zum jetzigen Gesetz wünschst du dir?
Edit: btw, es ist ziemlich klar geregelt wann eine Abtreibung legal ist und wann nicht. Es ist keine Grauzone.
Naja, nicht nur. 12 Wochen sind meiner Meinung nach viel zu wenig und die Pflicht zu einer Beratung finde ich auch nicht ok.
Die exakte Formulierung ist diesbezüglich eher nachrangig.
Ja, da stimme ich dir zu. Das ist auch im allgemeinen eine viel sinnvollere Diskussion als über die Formulierung zu streiten.
Ein Beratungsgespräch bei einem zweitem Arzt finde ich sinnvoll, aber die 3 Tage wartezeit sind zu viel. Die 12 Wochen könnte man auch ausweiten.